Titelseite Alan J. Villiers, By Way of Cape Horn

By Way of Cape Horn
von Alan J. Villiers

Den Autor des zu besprechenden Bandes, Alan Villiers (1903 - 1982), muß man den Kennern des ausgehenden Zeitalters der Segelschiffahrt sicher nicht mehr vorstellen. Man kennt ihn aus seinen vielen Büchern, in denen er sowohl mit seinen eigenen praktischen Erfahrungen auf den klassischen Windjammern (er war zeitweise Miteigner der Parma und umsegelte als Eigner und Kapitän mit der Joseph Conrad - ex Georg Stage - mehrfach die Welt) als auch mit seinen Recherchen in vielen Archiven und Museen dieser Welt das wohl umfangreichste Bild über den Höhepunkt und zugleich das Ende der frachtführenden kommerziellen Segelschiffahrt gezeichnet hat. In seiner Person treffen sich in einer glücklichen Kombination reiche seemännische Erfahrung und ein beachtliches schriftstellerisches Talent, die seine Bücher gleichermaßen lehrreich und unterhaltsam machen.

Eine Reihe seiner Bücher sind in deutscher Übersetzung erschienen, u.a. auch das hier zu besprechende unter dem Titel "Rund Kap Hoorn. Die letzte Reise der Grace Harwar". Dieser Besprechung liegt die englische Originalausgabe von 1930 "By Way of Cape Horn" zugrunde.

Das Buch beschreibt die Reise des Vollschiffs Grace Harwar im Jahre 1929 von Wallaroo im Spencer Gulf (Australien) nach Queenstown (Cork, Irland) im Rahmen der sogenannten Weizenrennen, bei denen Getreide von Australien nach Europa verschifft wurde. Villiers, der zu diesem Zeitpunkt schon einige Reisen als Schiffsjunge und AB hinter sich hatte, und sein Freund Ronald Walker waren sich des Endes der Epoche der Frachtsegelfahrt bewußt und wollten einen Film als authentisches Zeugnis dieser Zeit und gegen die (offensichtlich schon damals sprichwörtlichen) Hollywoodschinken drehen. Beide hatten zu diesem Zeitpunkt keine Erfahrung mit dem Filmen. Für ihre Zwecke suchten sie ein richtiges altes Schiff, das noch nicht die Segnungen der damals modernen Schiffstechnik erfahren hatten.

We wanted a ship without a wheelhouse and without brace winches and those other man-saving gadgets of later days. We wanted a real old-timer …

Sie fanden diesen Schiff in dem finnischen Erikson-Segler Grace Harwar, das nach zweijähriger Trampschiffahrt im pazifischen Raum mit Weizen nach Europa, nach Hause gehen sollte.

Die Grace Harwar im Südatlantik (aus dem besprochenen Band)

Die Grace Harwar im Südatlantik (aus dem besprochenen Band)

Doch die Passage stand unter einem schlechten Stern. Schon die Reise bis Kap Hoorn barg alle Widrigkeiten und alles Unglück in sich, das man sich vorstellen kann und das damals in den chronisch unterbemannten Erikson-Schiffen durchaus nicht so unnormal war. Die für ihre konstant stürmischen Westwinde bekannten Roaring Forties lieferten völlig unüblich nur östliche Winde; Stürme, Hagel, Schnee waren ständige Begleiter der Grace Harwar. Unter diesen Bedingungen geht es kaum vorwärts. Und dann die erste Kumulation der Ereignisse: Beim Heißen der Voroberbramrah am Ende der Hundewache reißt das Fall und Villiers Freund Walker stirbt zwischen Ober- und Unterbramrah. Wenige Tage später wird bei Sturm ein Schiffsjunge über Bord gewaschen, der aber schließlich mit nicht vorstellbarem Glück doch noch halbtot geborgen werden kann und überlebt.

Villiers beschreibt dieses Geschehen mit einer Eindrücklichkeit und eigenen Betroffenheit, der sich der Leser nicht entziehen kann. Immer wieder fragt er in diesen Kapiteln, wie sich entgegen aller Wahrscheinlichkeit die Ereignisse so unglücklich verknüpfen konnten, daß sein Freund sterben mußte. In diesen Kapiteln kondensiert er in wenigen Situationen die unmenschlichen Strapazen, Entbehrungen und Leiden, denen ein Seefahrer zu jener Zeit ausgesetzt war. Kälte, alles durchdringende Feuchtigkeit und ein chronischer Schlafmangel (für die ständigen Segelmanöver standen nur 12 Hände vor dem Mast zur Verfügung) sind heute bei den komfortablen Bedingungen auf den wenigen noch in Fahrt verbliebenen Seglern dieser Größe nicht mehr nachempfindbar.

Nach 57 statt erhofften 30 Tagen erreichte man endlich das Horn. Aber das Unglück sollte noch kein Ende gefunden haben. Der zweite Offizier erleidet nach den traurigen Ereignissen und den Strapazen einen Nervenzusammenbruch, von dem er sich nicht erholt. Er soll in Kapstadt an Land gebracht werden, widrige Winde verhindern das jedoch. Und weiter hatte das Schiff mit dem Wetter zu kämpfen. Schließlich ging der Proviant aus. Es dauerte lange, bis man auf einen Dampfer traf, der helfen und den Hunger an Bord beenden konnte.

Endlich, nach 138 Tagen erreicht man Queenstown. Aber auch hier wäre fast noch ein letztes und endgültiges Unglück passiert: Das Schiff erhält keine Reaktion auf das Lotsensignal, die Grace Harwar versuchte auf eigene Faust in den Hafen zu kommen und wäre in der schwierigen Zufahrt um ein Haar im Dunkeln mit einem noch nicht lange dort befindlichen Wrack kollidiert. Nach allen diesen Ereignissen kann man verstehen, wenn es aus Villiers als Reaktion auf eine Notiz über eine angeblich ereignislose Reise (being uneventful) in der lokalen Zeitung in einer langen Tirade förmlich herausbricht:

If that voyage was “uneventful” I hope that I never am called upon to serve before the mast in one that really is “eventful”. ...

Dieses Buch mag man beim Lesen gar nicht mehr aus der Hand legen. Villiers hat ein Talent, das Geschehen ausdrucksstark und spannend zu erzählen. Selbst die Wahl der Kapitelüberschriften unterstützt und verstärkt den Spannungsbogen (z.B. folgt auf das mit "All is well" überschriebene und von vergleichsweise unwichtigen meteorologischen Widrigkeiten handelnde Kapitel das Kapitel "He is dead" über den Tod Walkers).

Wie in vielen anderen seiner Bücher nutzt Villiers im vorliegenden Band jede Gelegenheit, um auch von anderen Schiffen und Schicksalen zu berichten, und hat der Nachwelt damit einen direkten Zugang zu dieser Periode der Seefahrt erhalten. Viel Wissen um dieses Kapitel der Seefahrt wäre ohne Villiers verloren gegangen. Mit dem Buch entsteht ein detailliertes, authentisches, umfangreichreiches und vor allem farbenprächtiges Bild von der Hochzeit der Segelfrachtschiffahrt, das sich niemand an diesem Thema Interessierter entgehen lassen sollte. Was ist aus der ursprünglichen Absicht von Villiers und seinem Freund geworden, auf dieser Reise einen Film zu drehen? Zum einen sind in dem hier (Die Pamir. Kinofilm von 1959 auf DVD) erwähnten Video "Square Riggers of the 1930s" im Kapitel "Cape Horn Road" Teile des damals aufgenommenen Filmmaterials enthalten (u.a. die Bestattung von Ronald Walker). Zum anderen ist möglicherweise in dem 1931 in England unter Mitwirkung von Villiers entstanden Spielfilm "The Windjammer" originales Filmmaterial von dieser Reise erhalten.

Ein anderer Bericht von Villiers über die Reise mit der Grace Harwar ist in The National Geographic Magazine vom Februar 1931 (S. 191 - 224) erschienen. Hier findet man weitere Photos von der Reise und eine Karte mit dem Kurs des Schiffes.

Wer Reliquien sucht wird im Seefahrtsmuseum von Mariehamn fündig, dort ist das Lot der Grace Harwar ausgestellt.

Noch ein Wort zur deutschen Übersetzung. Sie wurde von Ludwig Dinklage (selbst ein namhafter Autor maritimer Literatur) angefertigt und ist zuletzt 1994 im Verlag F.A. Brockhaus erschienen (ISBN 978-3765302060) und wohl mittlerweile nur noch antiquarisch erhältlich. Der Titel "Rund Kap Hoorn. Die letzte Reise der Grace Harwar" ist allerdings irreführend, in Villiers Buch wurde nicht die letzte Reise der Grace Harwar beschrieben. Tatsächlich war die Grace Harwar noch bis 1935 in Fahrt und wurde dann in Charlestown abgewrackt, sie war zu diesem Zeitpunkt insgesamt 46 Jahre in Fahrt gewesen.

Buchdetails

Titel:
By Way of Cape Horn
Autor:
Alan J. Villiers
Seiten:
336
Sprache:
Englisch
Verlag:
Garden City Publishing Company, New York, 1930
ISBN:
978-0-340-00371-8